Castor Schottern Prozeßerklärung

Persönliche Erklärung von Mischa Aschmoneit vom 21. Mai 2013

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt mich im Zusammenhang mit der Kampagne Castor Schottern der Straftat der “öffentlichen Aufforderung zu Straftate”“. Ich gestehe bereitwillig, als einer der Pressesprecher der Kampagne Castor Schottern gegenüber VertreterInnen der Medien die Ziele und Methoden der Kampagnen dargestellt zu haben. Falsch ist die Vorstellung, dass ich MedienvertreterInnen zum schottern aufgefordert hätte, richtig ist, dass ich sie – zusammen mit den anderen PressesprecherInnen – an den Aktionstagen begleitet habe und ihnen erläutert habe, was die AktivistInnen machen und warum sie es machen. Diese unsere Pressearbeit ist stets öffentlich und vorangekündigt gewesen und war – beispielsweise gemessen daran, dass der Begriff “schottern” von der Gesellschaft für deutsche Sprache auf Platz sechs der Liste des Wortes 2010 gewählt wurde – erfolgreich. Die Kommunika­tion in die Mitte der Gesellschaft hat funktioniert, das Engagement von vielen Menschen aus der Pressegruppe der Kampagne Castor Schottern hat sich gelohnt.

Mein persönlicher Zugang zu diesem Engagement ist eine Kindheitserinnerung. Meine Eltern haben mich im Alter von neun Jahren auf eine Demonstration mitgenommen, 40.000 Menschen demonstrierten damals gegen das Atomkraftwerk Schneller Brüter in Kalkar und meine wichtigste Erinnerung ist der Lauf einer Maschinenpistole, die in unser Auto gesteckt wurde und auf mich gerichtet war. Das war im Jahr 1977, die Rote Armee Fraktion hatte zuvor den ehemaligen SS-Mann und späteren Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber­verbände (BDA), Hanns Martin Schleyer, entführt und die Bundesregierung nutzte die Situation, um das bislang größte Polizeiaufgebot in der Geschichte der Bundesrepublik auf die AtomkraftgegnerInnen loszulassen. Meine Eltern und ich wurden wie tausende andere stundenlang schikaniert, durchsucht, ein Netz mit Kartoffeln gar als Angriffswaffen beschlagnahmt und wir kamen erst zur Demonstration, als die schon fast vorbei war. Als Kind habe ich also schon früh gelernt, wen der bundesdeutsche Staat in der Atomkraftfrage schützt und wozu er dabei fähig ist. Ich habe aber auch gelernt, dass Widerstand sich lohnt: Das Atomkraftwerk wurde niemals in Betrieb genommen.

In meine Jugendjahre platzte dann 1985 die Katastrophe von Tschernobyl, der zweiten Kernschmelze nach Harrisburg im Jahre 1979. Hatte es bis dahin noch Illusionen geben können, dass “sozialistische” Atomkraftwerke sicher seien, so wurde dieser Irrglauben brutal zerstört. Niemand kennt die Zahl der verstrahlten Menschen, der bereits an den Folgen von Tschernobyl gestorben Menschen oder der Menschen, die heute leiden und bald sterben werden. Niemand kennt die Zahl, aber ein Forschungsteam aus us-amerikanische und kanadischen ExpertInnen prognostiziert eine Gesamtzahl der Toten von bis zu 1,8 Millionen Menschen weltweit. Und niemand kennt die Zahl der Menschen, die noch geboren werden und die Folgen von Tschernobyl in Form von Missbildung zu ertragen haben. Ein einziger Bedienfehler in einer bis dahin unbedeutenden Ortschaft – und so viel Leiden so vieler Menschen in den jetzigen und den kommenden Generationen.

Das ist kein Leiden, das aufgrund einer Naturkatastrophe entstanden ist. Das ist Leiden, das aus der von Menschen getroffenen Entscheidung zur Nutzung einer tödlichen Energiequelle resultiert. Tödlich deshalb, weil schon die Gewinnung des spaltbaren Materials kontinuierlich zu Toten in den zumeist ärmeren Rohstoffländern führt. Tödlich, weil der Normalbetrieb von Atomkraftwerken für die NachbarInnen derselben erhöhte Krebsraten zur Folge hat. Tödlich, weil die Endlagerfrage unlösbar ist und der Atommüllexport schon jetzt in den davon betroffenen ärmeren Ländern zu Verheerungen führt. Niemand hat das Recht, Atomkraftwerke zu bauen oder zu betreiben – es ist Unrecht, es ist ein Verbrechen.

Ich wohne in einer beschaulichen Gegend in Düsseldorf, kein Atomkraftwerk in unmittelbarer Nähe. Ich wohne dort, wo auch Paul Spiegel, der mittlerweile verstorbene Vorsitzende des Zentralrates der Juden sein Büro hatte. Das kleine Bäckerei-Cafe gegenüber waren für ihn und auch für mich Orte der Erholung, der freundlichen Diskussion. Paul Spiegel hat mir vermittelt, dass man sich gegen Unrecht wehren muß, ob es als gesetzloses Unrecht daherkommt oder – schlimmer noch – als in Gesetz gegossenes Unrecht. Für ihn war das eine Lebenserfahrung, die er nicht nur auf den Umgang mit Neonazis beschränkte und für die er öffentlich warb. Eingeladen zur Bundesvertreterversammlung der Richter und Staatsanwälte in Deutschland bekräftigte er in seiner Ansprache am 30.3.2001: “Mit den Widerstandshandlungen kann nicht abgewartet werden, bis der Rechtsstaat in den Unrechtsstaat umgeschlagen ist (…) Es gibt daher also auch Widerstand im Rechtsstaat”. (siehe hierzu: Deutscher Richterbund Nordrhein-Westfalen, Heft Nr. 127 vom Juni 2001, Seite 6) Wohlgemerkt, er redet von Widerstand, nicht von Protest!

Paul Spiegel stütze sich dabei auf den großen Juristen Fritz Bauer, der in seinem Aufsatz “Widerstandsrecht und Widerstandspflicht des Staatsbürgers” die potentiellen Einwände anderer JuristInnen widerlegte und feststellt, dass “zum Abwarten kein Anlaß” besteht: “Wir haben in der Bundesrepublik das Bundes­verfassungsgericht, das über Grundrechtsverletzungen entscheidet und gewiß in manchen Fragen, zum Beispiel des Wahlrechtes, des förderativen Aufbaus der Bundesrepublik (…) und des Rechts der freien Meinungsäußerung Beachtliches geleistet hat. Aber die Verfassungsbeschwerde macht Widerstandshandlungen nicht überflüssig; sie ist kein Allheilmittel. (..) Der große Widerstand im Unrechtsstaat bleibt nur möglich, wenn der kleine Widerstand gegen das Unrecht im staatlichen Alltag geübt und wie eine kostbare Pflanze gehegt und gepflegt wird.” (Fritz Bauer, Die Humanität der Rechtsordnung, Campus Verlag, 1998, S. 195ff)

War die Situation im Jahr 2010 so, dass Widerstand geboten war? Ja, sie war so! Am 28.10.2010 beschloss die Mehrheit des deutschen Bundestages eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke und verwandelte die den bis dahin geltenden halbherzigen “Atomausstieg“ festschreibenden Gesetzesblätter in einen Haufen Altpapier. Eine Welle der Empörung ging durch die Bevölkerung, deren Mehrheit den Ausstieg aus der Atomkraft wollte und will. Erster Kulminationspunkt der Proteste und des Widerstands war der für November 2010 angekündigte Castor-Transport in das sogenannte Zwischenlager Gorleben. Ich erspare uns eine Aufzählung der Gründe, die gegen die Atommülltransporte und gegen das drohende Endlager Gorleben sprechen, ich gehe davon aus, dass sie auch von Seiten der Staatsanwaltschaft nicht bestritten werden.

Gab es 2010 die Möglichkeit für betroffene BürgerInnen, das Problem Castortransport juristisch zu lösen? Nein, die gab es nicht. 25 Jahre haben beispielsweise niedersächsische Verwaltungsgerichte die von Greenpeace unterstützten Klagen von Anwohnern der Castortransportstrecke nahe dem niedersächsischen Zwischenlager Gorleben mit der lapidaren Begründung abblitzen lassen, die betroffenen BürgerInnen seien gar nicht klageberechtigt. Erst vor wenigen Wochen, am 14. März 2013, entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass BürgerInnen die für den Transport des Atommülls erteilte Genehmigung vor Gericht angreifen können. (BVerwG 7 C 34.11 und BVerwG 7 C 35.11) und hob anderslautende Urteile der Vorinstanzen auf.

Der juristische Weg war 2010 nicht existent, spätestens damit war aber eine Situation existent, bezüglich derer Paul Spiegel und Fritz Bauer konstatieren: es “reifen die Widerstandsrechte des Einzelnen”.

Und in der Tat, im November 2010 haben viele Einzelne mit ihrem Gewissen gerungen und sich dann entschieden, Widerstand zu leisten. Viele haben sich zu Sitzblockaden auf Straßen und Gleisen ermächtigt, viele haben geschottert und viele andere haben mit zahllosen kreativen Aktionen bis hin zu Beton-Pyramiden und Lastwagen-Blockaden Widerstand gegen ein lebensbedrohendes Übel geleistet. Ich bin sicher, in späteren Zeiten, wenn sich niemand mehr an die Namen der Menschen in diesem Raum hier erinnert, wird man noch anerkennend von den Vielen reden, die jahrzehntelangen zähen Widerstand im Wendland geleistet haben.

Fritz Bauer hatte gefordert: “Der Widerstand muß immer der Rechtsverletzung adäquat sein.” (Fritz Bauer, Die Humanität der Rechtsordnung, Campus Verlag, 1998, S. 195ff). Ich habe damals öfter darüber nachgedacht, ob das zeitweise Unbefahrbarmachen der Castor-Gleise adäquat ist. Angesichts der Gefahren, die von der atomaren Strahlung für Leib und Leben des Einzelnen und für die menschliche Gesellschaft insgesamt ausgeht und angesichts der jahrelang fortgeführten Rechtsverletzung u.a. durch das Verwaltungsgericht Braunschweig und das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, wie sie ja jetzt vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt wurden, bin ich damals zum Entschluss gekommen, dass das Unbefahrbarmachen der Castor-Gleise legitim ist. Beschädigte Castor-Gleise können repariert werden – verstrahlte Menschen können nicht geheilt werden, von den Schäden für die nichtmenschliche Natur ganz zu schweigen.

Mein Beitrag zum vielfältigen und legitimen Widerstand gegen den Castor-Transport war das Vermitteln von Informationen über die Motive, Absichten, Ziele und Mittel der an der Kampagne Castor Schottern beteiligten tausenden AktivistInnen an die JournalistInnen. Zu diesem Zwecke wurden von der Pressegruppe der Kampagne zahlreiche Mails mit presserelevanten Informationen an JournalistInnen versandt, wurden Pressekonferenzen abgehalten und eine größere Zahl von JournalistInnen während der Aktionstage betreut. An dieser Arbeit, die selbstverständlich von allen ehrenamtlich und unentgeltlich geleistet wurde, habe ich mich gerne beteiligt.

Knapp vier Monate später, wurde auf furchtbare Weise klar, wie notwendig der Widerstand gegen den atomaren Wahnsinn war, ist und bleibt. Am 11.3.2011 fand die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima statt, die seitdem die Umgebung und das japanische Meer verseucht. Wenig später verfügte Bundeskanzlerin Merkel angesichts spontaner Massenproteste in Deutschland die sofortige Stilllegung von sieben Atomkraftwerken, der deutsche Bundestag beschloss am 30.6.2011 mit 513 Stimmen in namentlicher Abstimmung den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2022. Auch wenn diese Politik von Halbheiten und Täuschungen geprägt ist, so wird doch deutlich, dass die offizielle Politik die Ablehnung der Atomkraft durch die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung erkennt.

Leider bleibt die Bedrohung der Menschen durch die Atomwirtschaft brandaktuell. Während am 1. Mai in Hamburg tausende Menschen am Fischmarkt die Eröffnung des evangelischen Kirchentages feierten und an den Landungsbrücken an der Maikundgebung des DGB teilnahmen, brannte nur wenige hundert Meter entfernt ein Frachtschiff. Wie erst vor wenigen Tagen bekannt wurde, hatte die “Atlantic Cartier” 20 Tonnen radioaktive Fracht geladen, darunter neun Tonnen hochgefährliches Uranhexafluorid. Erst auf parlamentarische Anfragen räumte der Hamburger Senat diesen Umstand ein. Hamburg hat es seiner Feuerwehr zu verdanken, dass es hier nicht zu einer Katastrophe für Menschen und Umwelt gekommen ist. Die KollegInnen haben unter widrigsten Umständen und unter Lebensgefahr die Uran-Container vom brennenden Schiff geholt. Und der Wahnsinn geht weiter: Zwei LKW mit mehr als 200kg Plutonium als Fracht sollen quer durch Belgien, Holland und mitten durch Hamburg rollen. Würde bei einem Unfall ein Behälter undicht und das Plutonium durch Brandeinwirkung über eine größere Fläche verteilt, dann hätte das in der dichtbesiedelten Millionenstadt Hamburg fatale Folgen. Denn schon wer wenige Millionstel Gramm dieses Ultragiftes einatmet, ist akuter Krebsgefahr ausgesetzt und schon eine Dosis im zweistelligen Milligrammbereich ist für Menschen tödlich. Eine rechtzeitige Evakuierung in einer dichtbesiedelten Großstadt wäre kaum möglich. Konkrete Katastrophenschutzpläne für einen Unfall mit einem Plutonium-Transport gibt es nicht. Was also sollen Menschen, deren Leib und Leben von ihren Regierenden in dieser Art bedroht werden, tun? Was sollen sie, nach einer denkbaren Katastrophen, ihren möglicherweise schwer geschädigten Kindern und Enkelkindern erzählen? Wir durften den Wahnsinn nicht stoppen, weil uns sonst ein Gerichtsverfahren gedroht hätte?

Was immer wir in diesem Raum denken mögen; solange es lebensbedrohendes Unrecht wie die auf Gewinnerzielung ausgerichteten Aktivitäten der Atomwirtschaft gibt, solange wird es auch den Widerstand dagegen geben. Vielleicht nicht immer nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden Buchstaben des Gesetzes legal – aber immer legitim.

Vielen Dank