Wie lange gibt es euch als Gruppe schon und was ist euer politisches Selbstverständnis? Wie würdet ihr euch politisch beschreiben, was sind eure Ziele, Forderungen etc.?
A: Unsere Gruppe hat sich 2010 als Teil des Antifaschistischen Koordinierungskreises Düsseldorf-Neuss (Antifa-KOK) gegründet. Dieser war damals bereits Teil der IL und hat sich dann im Jahr 2011 aufgelöst. Seitdem waren wir bis zu unserem Austritt Ende 2024 in der Interventionistischen Linken (IL) aktiv. Unser übergeordnetes Ziel ist die Überwindung des Kapitalismus und diesem eine Gesellschaftsform entgegen zu setzen, welche sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.
Ihr heißt ja „see red!“ – ein Hinweis darauf, dass ihr euch als Marxist:innen versteht?
J: Grundsätzlich begreifen wir uns als Teil einer undogmatischen Linken. Nichtsdestotrotz beziehen wir uns in unseren Analysen und Sichtweisen auf marxistische Theorie und würden uns dementsprechend als Marxistinnen und Marxisten bezeichnen, ja.
Wie wollt ihr eure Ziele erreichen? Was ist eure Strategie?
A: Wir sagen, wir wollen „Politik der 1. Person“ machen. Das heißt, die Politik die wir machen, ist keine Stellvertreterpolitik. Sondern sie fokussiert sich auch auf unsere eigene Befreiung.
Wir versuchen in den sozialen Bewegungen, in denen wir uns bewegen, strategische Bündnisse mit anderen Akteur:innen einzugehen und damit in Kämpfe zu intervenieren und diese an den entscheidenden Stellen zuzuspitzen. Wir wollen die Leute dort erreichen, wo diese betroffen sind, wo sie die Problematik teilen. […] Darin wollen wir Menschen zusammenbringen, ihnen etwas mitgeben, um darin eine kollektive Handlungsmacht zu entwickeln, durch die sie aus ihrer individuellen Ohnmacht ausbrechen können. Wir wollen den Betroffenen damit das Bewusstsein geben und sie aktiv daran teilnehmen lassen, dass man als Kollektiv Gesellschaft selber machen kann. Mit diesem Vorgehen haben wir die letzten 15 Jahre soziale Bewegungen aufgebaut. Von Klimakämpfen über Seebrücke bis hin zu Mieter:innenkämpfen.
J: Wir glauben, dass wir Menschen am besten über die Aktion erreichen können. Viele andere Gruppen setzten ja eine gewisse Theoriekenntnis voraus oder wollen Menschen über Theorie gewinnen. Da unterscheiden wir uns schon auch von anderen. Wir glauben, Menschen kommen von der Praxis in die Theorie und nicht andersherum. Wir wollen in bestehende Kämpfe hinein gehen, diese zuspitzen und darin eine Radikalisierungsperspektive aufbauen und im besten Falle dadurch Menschen organisieren.
Was sind oder waren eure Themenschwerpunkte? Was waren so die größeren Aktionen?
J: In der Vergangenheit haben wir zu verschiedenen Themenfeldern gearbeitet. So zum Beispiel im Bereich der Mietenkämpfe, aber auch im Handlungsfeld Soziale Kämpfe, welches wir gerne „Klima, Krieg und Klasse“ nennen. Beispielsweise haben wir im Herbst 2022 gemeinsam mit Rheinmetall entwaffnen Blockadeaktionen der Rüstungskonzerne in Kassel organisiert, waren in den Kämpfen rund um den Braunkohletagebau und Lützerath involviert oder haben 2023 mit dem Netzwerk „Tasche leer – Schnauze voll!“ hier in Düsseldorf ein linkes Protestnetzwerk im Zuge der Inflations- und Energiekrise auf die Beine gestellt. Dazu kommen sämtliche Gipfel, wie G20 in Hamburg 2017 oder G7 in Elmau 2015, sowie die Blockupy Proteste Mitte der 2010er Jahre.
A: Natürlich gibt es im Tagesgeschäft dann aber auch noch vieles anderes. Zum Beispiel wenn es um Antifa-Arbeit geht. Wir verstehen uns selber nicht als klassische Antifa-Gruppe, aber sind natürlich auch dann offensiv auf der Straße, wenn es darum geht, dass sich Faschos nicht in Düsseldorf breit machen.
[…]
Es gibt ja viele linke Gruppen, die zu gleichen Themen wie ihr arbeiten und auch ähnliche Positionen vertreten. Aber warum sollte man ausgerechnet bei euch aktiv sein? Was macht euch aus?
A: […] Dazu kommt, dass wir aus verschiedensten Generationen und Strömungen Leute vereinen. Unsere Mitglieder gehen von Anfang 20 bis Mitte 70 und kommen teils aus der Zeit der bewaffneten Kämpfe der Studierendenproteste der 60er Jahre, aus den alten K-Gruppen oder auch aus der Zeit der Autonomen Antifa der 90er Jahre oder eben jetzt aktuell aus den Bewegungen der Klimagerechtigkeit oder gegen den Rechtsruck.
Und diese Vereinbarkeit der verschiedenen Strömungen ist ein großer Erfolg. Die jüngeren Leute können von den Älteren lernen und andersrum sorgen die jungen Genoss:innen für den notwendigen neuen Schwung der wiederum die älteren Genoss:innen immer neu fordert und anfeuert.
J: Was wir ja auch immer gesagt haben, ist, dass wir keine Lust haben so eine Szene-linke Politik mitzumachen. Und ich glaube das zeichnet uns auch aus. Wir haben keine Scheu davor, auch mal streitbare Positionen zu vertreten und die Kritik daran einfach auszuhalten. Und wir verweigern uns da an bestimmten Punkten dann auch zurückzuweichen, wenn wir unsere Position für die Richtige halten. Und klar machen wir auch Fehler, aber Fehler gehören genauso zum Weiterentwicklungsprozess wie Erfolge.
A: Und durch diese Dinge entsteht ja auch eine dringend notwendige Streitkultur. Ich finde Streit total wichtig für die Weiterentwicklung und die Debatte. Sonst verharren wir in unseren moralgetränkten ideologischen Grenzen und verbleiben in unseren Denkmustern, die Fortschritt total verhindern können.
Das geht auch so ein wenig der momentanen Entwicklung in der radikalen Linken entgegen. Ich habe das Gefühl, dass Debatten total identitätspolitisch und moralisch aufgeladen sind und das den Raum und die Möglichkeit für vernünftige Debatten und materialistische Analysen verschließt. Ja, wir sind schon gut darin auch einfach mal mit dem Kopf durch die Wand zu gehen und lieber etwas nicht perfekt zu machen, als es gar nicht zu machen. Und dann sind manche unserer Haltungen eben auch mal unpopulär, aber das halten wir aus.
[…]
Kann ich auch bei euch mitmachen, wenn ich alleinerziehende Mutter bin oder Vollzeit beschäftigt bin und nicht viel Zeit habe?
A: Prinzipiell ja. In unserer Gruppe gibt es Eltern mit Kindern, Selbstständige und Menschen die Vollzeit arbeiten, genauso wie Studierende. Natürlich erwarten wir auch ein bestimmtes Commitment , wenn man bei uns mitmachen möchte. Das heißt, regelmäßig an unseren Treffen teilnehmen, sich in die Debatten einmischen auch Aufgaben übernehmen. Aber das alles in einem für einen selbst vertretbaren Umfang.
Unsere oberste Priorität ist es natürlich, Menschen zu organisieren. Man sollte einfach eine gute Selbsteinschätzung haben, ob das, was mit Organisierung einhergeht zeitlich für einen passt. Damit wir unsere Arbeit gut und auch sicher machen können, braucht es eine gewisse Vertrauensbasis und ein aufeinander-verlassen-können und das entsteht natürlich nur durch eine kontinuierliche gemeinsame Praxis.
Das ganze Interview ist Teil einer 2023 erschienenen Broschüre und ist hier gekürzt dargestellt.
Das Interview führte der unabhängige Podcast „Kommunisten Kneipe“