26. Juli 1956 – Ägypten verstaatlicht den Suez-Kanal

Wer die vielen Kriege in Nahen Osten besser verstehen will, kommt nicht umhin, den gemeinsamen Angriff von Großbritannien, Frankreich und Israel auf Ägypten zur Kenntnis zu nehmen. Worum ging es?

Im Jahr 1919 kam es in Ägypten zu einem Revolutionsversuch gegen die britischer Kolonialherrschaft. Daraufhin schuf das britische Empire das Königreich Ägypten, dessen Herrscher, König Faruk I., unter dem Kommando der britischen Krone stand. Dagegen gab es in Ägypten breite Protestbewegungen, die von Kommunist:innen und der Muslimbruderschaft angeführt wurden.

Im Zuge dieser Massenbewegung, an der sich auch große Teile der Arbeiter:innenklasse beteiligten, gelang es dem Offizier Abdel Nasser, gestützt auf die Armee und bürgerlich-demokratische Intellektuelle, einen Staatsstreich durchzuführen. Nach seinem Putsch verbot Nasser zunächst die Kommunistische Partei und die linken Gewerkschaften, später auch die Muslimbruderschaft.

Unter der Herrschaft von Nasser wurde der Mindestlohn eingeführt, Mieten gesenkt, die Macht der großen Landbesitzer durch Erhöhung der Steuern geschwächt. Nassers Popularität stieg in Ägypten und der arabischen Welt enorm, als es ihm gelang, mit den Briten ein Abkommen über den Abzug all ihrer Truppen bis 1956 abzuschließen, inklusive der 80.000 Soldaten am Suez-Kanal.

Am 26. Juli 1956 verkündete Nasser unter dem Jubel der Bevölkerung die Verstaatlichung des Suezkanals mit den Worten: „Alles was uns gestohlen wurde von den imperialistischen Unternehmen, diesen Staaten in Staaten, während wir vor Hunger starben, holen wir uns jetzt zurück. Im Namen der Nation, des Präsidenten der Republik erklären wir die „International Suez Canal Company“ zu einer ägyptischen Firma“.

Die Kolonialmächte England und Frankreich begannen daraufhin mit einem Propagandafeldzug gegen den „Mussolini vom Nil“ und die britische Armee richtete bereits am 27. Juli einen Planungsstab ein, der den Angriff vorbereiten sollte. Am 29. September trafen sich Frankreichs Außenminister Christian Pineau und Verteidigungsminister Maurice Bourgès-Maunoury mit Israels Vertretern Golda Meïr, Schimon Peres und Mosche Dajan. Israel sollte eine Invasion starten, so dass Großbritannien und Frankreich als vermeintliche Friedensmächte intervenieren könnten. Die Europäer würden dann die israelischen und ägyptischen Armeen zum Rückzug auf die jeweilige Seite des Kanals bewegen und eine britisch-französische Besatzungsmacht am Suez-Kanal stationieren. Am 24. Oktober unterzeichneten die drei Staaten ein Abkommen über ihr Vorgehen.

Am 29. Oktober marschierten israelische Truppen im Gazastreifen und auf der Sinai-Halbinsel ein und rückten Richtung Suezkanal vor. Am 31. Oktober fingen die britischen und französischen Bombenangriffe an, am 6. November landeten die Briten in der schon fast völlig zerbombten Stadt Port Said. Das ägyptische Militär kämpfte, hatte der Wucht der Angriffe jedoch wenig entgegenzusetzen.

Allerdings organisierten sich die Massen: Angeführt von Kommunist:innen und linken Gewerkschaften, die Nassers Verbot trotzten, gründeten sich im ganzen Land Kampfgruppen, die sich mit Waffen versorgten.

Eine Studentin: „Wir alle wollten Ägypten verteidigen und die Invasoren rausschmeißen. Wir gründeten eigene Frauenbatallione im ganzen Land. Frauen waren ein wesentlicher Teil der Widerstandsbewegung, niemand kam auf die Idee, uns zu sagen, wir sollten wieder hinter den Herd zurückgehen“.
Ein Kommunist: „Die Imperialisten wollten unser Heimatland zurückerobern und die Verstaatlichung des Suezkanals rückgängig machen. Wir vergaßen alles, was Nasser uns angetan hatte, die Gefängnisse, die Folter, weil wir einen gemeinsamen Feind hatten. Alle Kommunisten dachten so.“

Wider Erwarten erhielten die europäischen Mächte keine Rückendeckung der USA für ihr Vorgehen. Die USA sahen eine Chance, ihre europäischen Konkurrenten weiter einzudämmen und den Einfluss der Sowjetunion einzudämmen.

Am 5. November erklärte die Sowjetunion gegenüber Frankreich und Großbritannien ihre Bereitschaft, mit „Anwendung von Gewalt die Aggressoren zu vernichten und den Frieden im Nahen Osten wiederherzustellen“.

Der sowjetische Ministerpräsident Bulganin richtete an Israel die Warnung: „Als Vollstrecker eines fremden Willens und im Auftrag anderer treibt die Regierung Israels ein verbrecherisches und unverantwortliches Spiel mit dem Schicksal der Welt, mit dem Schicksal ihres eigenen Volkes. Sie sät unter den Völkern des Ostens einen Hass, der sich auf die Zukunft Israels auswirken muss und seine staatliche Existenz in Frage stellt… Wir erwarten, dass die Regierung Israels sich eines Besseren besinnt, ehe es zu spät ist, und ihre militärischen Operationen gegen Ägypten einstellt.“

Einen Tag später stellten Großbritannien, Frankreich und Israel die Kampfhandlungen ein und zogen sich schrittweise zurück. Der Verlust der Weltmachtstellung Großbritanniens wurde offenkundig – es war der letzte Versuch der früheren Weltmacht, ohne Zusammenarbeit mit der neuen Supermacht USA ihre Interessen militärisch durchzusetzen. Die Niederlage der Briten und Franzosen stärkte die Kräfte, die in den verbliebenen britischen und französischen Kolonien für ihre Unabhängigkeit kämpften. Viele der Befreiungsbewegungen wussten nun, dass sie gegebenenfalls auf die Unterstützung durch die sozialistische Sowjetunion rechnen konnten.

Angesichts des britisch-französischen Suez-Debakels betrachteten sich die USA nun als alleinige Verteidigerin „westlicher Interessen“ im Nahen Osten, wovon Israel in Form amerikanischer Sicherheitsgarantien und Waffenlieferungen profitierte. In der arabischen Welt dagegen hatte sich nach den Worten Nahum Goldmanns das Bild Israels als eines Bundesgenossen der „imperialistischen Mächte […] endgültig fixiert“.

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