Für die Autonomie der Kämpfe – Sechs Gegenthesen zum OXI und den Folgen

Vorbemerkung

Nachdem am 5. bzw. 7. Juli 2015 eine Blockupy-Delegation aus Athen, an der auch unsere Genoss*innen aus der IL teilnahmen, die Texte „Der Triumph des Neuen. Es ist ein OXI“ sowie „Es gibt keine Lösung, außer zu kämpfen“ veröffentlichte, beschlossen wir einen eigenen Text mit unserer Kritik an einigen dort formulierten Thesen zu veröffentlichen. Noch bevor wir die Arbeit am Text aufgenommen hatten, wurde bekannt, dass die griechische Regierung eine Liste mit Vorschlägen vorlegen wird, die im Wesentlichen den im Referendum abgelehnten Forderungen der EU entspricht. Es ist unklar, ob es in den nächsten Tagen eine Einigung zwischen den Institutionen (also der alten Troika aus EU- Kommission, EZB und IWF) und der griechischen Regierung geben wird. Uns war es dennoch wichtig, unsere Kritik schon so früh wie möglich zu veröffentlichen. Es geht uns nicht darum, hinterher zu sagen: „Wir haben’s ja schon immer gewusst“. Es geht darum, eine Diskussion zu führen, in der es nicht nur um die Lage in Griechenland geht, sondern um das Vermächtnis von Reformismus und revolutionärer Perspektive insgesamt. Noch weniger geht es uns darum, den Menschen in Griechenland etwas vorzuschreiben, diejenigen zu belehren, die bereits Jahre harter Kämpfe hinter sich haben und weitere vor sich. Wir beziehen uns auf Positionen und Diskussionen, die sich innerhalb des linken Flügels von Syriza, Antarsya, der KKE und vor allem der radikalen außerparlamentarischen Bewegung wiederfinden. Wir versuchen uns darin zu verorten und die Debatten auf unsere Situation zu beziehen. Wir wollen Teil von weltweiten Kämpfen um Befreiung sein und vertreten eine internationalistische Perspektive. In der Selbstbehauptung der griechischen Linken sahen auch wir die Möglichkeit einer neuen Dynamik für die Entfaltung der Kämpfe in ganz Europa. Es wäre auf der anderen Seite unsere Aufgabe als radikale Linke in der BRD gewesen, die griechische Linke durch massive soziale Kämpfe im Herzen der Bestie zu unterstützen. Und wir sehen es als unser Versagen, dass wir dazu nicht nicht in der Lage waren. Die sich abzeichnende Niederlage von Syriza basiert auch auf unserer Schwäche, sie ist die Niederlage von uns allen, völlig egal, mit welchen Erwartungen und Positionen wir auf Syriza geschaut haben. Und wir alle müssen über die Folgen dieser Niederlage für unsere Politik sprechen.

1. Syriza ist zu den Wahlen mit dem Versprechen angetreten, die neoliberale „Sparpolitik“ der Austerität in Griechenland zu stoppen, keine Kürzungen mehr zu akzeptieren und einige Maßnahmen der Vorgängerregierung zurückzunehmen, gleichzeitig aber in EU und Euro zu verbleiben. Dies entspricht der Position einer Mehrheit der griechischen Bevölkerung, die die Verarmungspolitik der EU nicht mehr länger erdulden kann und will, gleichzeitig aber immer noch glaubt, nicht ohne die EU leben zu können. Die Erfolge von Syriza basierten auf dieser Haltung, gleichzeitig hat Syriza mit ihren Verlautbarungen die Illusion in die Möglichkeit einer Anti-Austeritätspolitik innerhalb der EU verstärkt. Die Freude über den Wahlsieg Syrizas und mögliche neue Spielräume für eine radikal linke Politik war ebenso berechtigt, wie die Skepsis, ob diese Möglichkeiten genutzt werden würden.

2. Die Ankündigung ein Referendum über die geforderten Sparmaßnahmen der Institutionen durchzuführen, war ein taktisches Manöver der Regierung, mit der erklärten Hoffnung hierdurch die eigene Position in den Verhandlungen mit den Instutionen zu stärken. An diesem schlichten Fakt ändert auch die beeindruckende Massenmobilisierung für das Referendum, die weit über die Parteibasis hinausging und tatsächlich Ausdruck eines Klasseninteresses war, ebenso wenig etwas, wie die großen Siegesfeiern nach dem Erfolg des OXI. Dass erstmals eine direkte Abstimmung über die EU- Kürzungspolitik stattfand und eine Bevölkerungsmehrheit diese ablehnte, war ein wichtiges Ereignis mit enormer Ausstrahlungskraft. Nach dem Referendum ging jedoch die Kontrolle über die Verhandlungen wieder an die Regierung, und es gab keine Einbindung der Bevölkerung oder der Bewegung über den Fortgang der Verhandlungen und die Bestimmungen eines möglichen Kompromisses – oder dessen Ablehnung. Trotz der bewegungsnahen Geschichte eines Teils von Syriza hat sich das Verhältnis von kämpfender Bewegung und (Regierungs-) Partei nicht entscheidend geändert. Die These von „Blockupy goes Athens“, dass die „Bewegung eine Repräsentation hatte und die Repräsentation eine Bewegung“ halten wir für eine fatale Fehleinschätzung.

3. Die Hoffnung darauf, die eigene Verhandlungsposition mit dem erfolgreichen Referendum zuverbessern, erwies sich als Trugschluss. Die EU bleibt bei ihrer kompromisslosen, erdrückenden Haltung. Es zeigt sich, dass es innerhalb der EU keinen noch so kleinen Spielraum für eine Alternative zur Austeritätspolitik gibt. Jedes Abweichen von dieser Politik wäre ein Zeichen an die vom Sozialabbau betroffenen Menschen überall in der EU, dass es möglich ist, zu kämpfen und zu siegen. Darum wird die EU jede Alternative mit allen Mitteln erbittert bekämpfen, darum ist es in diesem Sinne richtig, wenn die Genoss*innen vom Lower Class Magazine in einem Artikel vom 10. Juli vom „Tod des Reformismus“ sprechen. Der von Syriza aufgerufene Weg einer Anti-Austeritätspolitik innerhalb der EU existiert nicht.

4. In Ermangelung eines Dritten Wegs wurde Syriza vor die Wahl gestellt, sich für den Verbleib in der EU und die Annahme des Kürzungsprogramms oder den Bruch mit der EU zu entscheiden. Syriza wählte die erste Möglichkeit. Die von der griechischen Regierung vorgeschlagene Reformliste ist im Wesentlichen mit dem im Referendum abgelehnten Kürzungsprogramm identisch. Sie umfasst Rentenkürzungen, Mehrwertsteuererhöhung und Privatisierungen. Die Verarmung der Bevölkerung wird dadurch weiter vorangetrieben. Wenn Tsipras dies damit legitimiert, er habe kein Mandat für einen Grexit, dann ist das nicht falsch. Aber das liegt eben daran, dass Syriza immer behauptete, dieser Wahl aus dem Weg gehen zu können und die Bevölkerung nicht mit der Notwendigkeit einer Entscheidung konfrontierte. Das OXI war kein organisierter Antagonismus, eben weil es nur die Ablehnung des Bestehenden ausdrückte, ohne ein Gegenprojekt zu formulieren. Klar ist aber, dass es nach dem Referendum erst Recht kein Mandat für die Reformliste gibt. Auch wenn wir den moralischen Zeigefinger aus Deutschland vermeiden wollen, können wir dies gar nicht anders nennen als einen Verrat am OXI der griechischen Bevölkerung. Eine Linke, die am Ende des Tages feststellt, die Austeritätspolitik der EU sei nun mal alternativlos, macht sich überflüssig – in Griechenland wie in Deutschland.

5. Der Reformismus ist tot und mit ihm auch alle Illusionen über eine demokratische, solidarische EU. Der Bruch mit der EU muss Ausgangspunkt aller Überlegungen sein, die auf den Bruch mit dem Kapitalismus zielen. Ein solcher Bruch ist ein Risiko. Es gibt keine Garantien dafür, dass sich sofort eine materielle Verbesserung für alle Menschen einstellen wird. Aber wir können eine Perspektive aufzeigen, wohin die Kämpfe für ein Leben ohne Kapitalismus führen können. Wir können über das Aufbrechen eines kapitalistischen Arbeitsregimes sprechen, darüber, dass nicht mehr die möglichst effektive Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft im Mittelpunkt steht, sondern Solidarität und Selbstverwaltung. Wir können über soziale Rechte für alle sprechen, über Vergesellschaftung, Selbstbestimmung und Commons, über den Ausbau der bestehenden Solidaritätsstrukturen. Das garantiert kein sofortiges gutes Leben für alle, sondern lange, harte Kämpfe. Aber es ist immerhin eine Chance. Eine Chance, die es innerhalb der kapitalistischen EU nicht gibt. Wann war das in den letzten Jahrzehnten jemals deutlicher als in diesen Tagen?

6. Wir hoffen nicht auf eine „andere Syriza“, wir glauben nicht, dass die Lösung in einem Wahlsieg von KKE oder Antarsya läge oder gar in einem von Podemos in Spanien oder der Linkspartei hier. Wenn es richtig ist, dass linke Wahlerfolge Räume schaffen können, dann liegt es an uns, der radikalen Linken, die Voraussetzungen zu schaffen, um diese Räume zu nutzen. Dann geht es nicht darum, linke Parteien für die „Repräsentation der Bewegung“ zu halten, sondern für die Autonomie der kämpfenden Bewegung einzutreten und den Druck auf die Regierung zu erhöhen, bzw. selbst Fakten zu schaffen. Das bedeutet auf eine revolutionäre Organisierung zu setzen, auf den Aufbau von Gegenmacht. Das bedeutet revolutionäre Strukturen in den Stadtteilen und Betrieben zu schaffen, es bedeutet die Autonomie der sozialen Kämpfe zu respektieren und zu unterstützen. Ja, das klingt phrasenhaft, weil wir als radikale Linke in der BRD meilenweit davon entfernt sind. Aber es gibt auf dem Weg zur Revolution keine Abkürzung über Parteien oder Parlamente.

„Crisis demands decision“, schrieben wir als Interventionistische Linke einmal auf unser Blockupy-Transparent. Auch wir müssen uns entscheiden. „Let’s choose communism“

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